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Messer, Schere, Licht...

Diesen Spruch kennt wohl jeder - doch wie aktuell ist er noch? Und für welches Alter gilt er wohl?

Wenn die Angst über dem Bedürfnis der Autonomie steht

Vor einiger Zeit wollte ich einem Zehnjährigen, der sehr ländlich und nahe einem Wald lebt, zu einem Festtag ein Taschenmesser schenken. Als ich der Mutter von meiner Absicht erzählte, reagierte sie mit den erschrockenen Worten: „Bloß nicht! Ich lasse ihn noch nicht einmal an die Küchenmesser!“

Überaus irritiert von dieser Reaktion erwiderte ich ein wenig provokant: „Warum nicht? Möchtest du ihm auch noch die Kartoffeln schälen, wenn er Achtzehn ist?“

 

Nicht weniger irritiert war ich vor einigen Tagen. Kinder einer Freundin von mir, die mit ihrer Familie erst vor wenigen Monaten von Belgien nach Deutschland gezogen war, waren bei mir zu Gast. Meine Freundin erzählte mir zuvor, dass die Kinder in Belgien bereits mit zweieinhalb Jahren in einer „Schule“ ganztags betreut werden. Umso schockierter war ich, als die beiden Kinder, von fünf und drei Jahren, nicht wussten, wie sie eine Schere zu halten haben.

 

Um das gleich klar zu stellen: Es ist für mich absolut in Ordnung, wenn ein Zehnjähriger mit einem Taschenmesser nichts anzufangen weiß oder eine Fünfjährige kein Interesse an einer Schere oder anderen Bastelwerken hat. Doch wenn Kindern die Möglichkeit genommen wird, ein Interesse zu entwickeln, weil die Ängste der erwachsenen Bezugspersonen über den Entdeckertrieb der Kinder gestellt wird, läuft für mich etwas falsch.

 

Selbstverständlich kommt es immer auf die individuelle Entwicklung des einzelnen Kindes an, ab welchem Zeitpunkt ihm ein Messer, eine Schere oder ein Streichholz in die Hand gedrückt wird. Dazu gehören unter anderem eine gewisse Feinmotorik und Fingerfertigkeit, sowie das Bewusstsein für Zusammenhänge in bestimmten Situationen. Und natürlich gehört eine individuelle Begleitung dazu.

Messer...

Je nach den feinmotorischen Fähigkeiten kann ein Kind in meiner Tagespflege etwa ab dem 18. Monat zum Frühstück ein Streichmesser in passender Größe haben. Meistens liegt es lediglich neben dem Brett. Die Kleinen möchten es lediglich haben, wie sie es bei den älteren Kindern sehen. Doch irgendwann - mitunter vor ihrem zweiten Geburtstag - fordern die Kinder, ihr Brot selbst zu schmieren. Etwa zu dieser Zeit schneiden sie auch mit Begeisterung weiche Früchte, wie Bananen, mit einem Streichmesser.

 


Noch vor ihrem dritten Geburtstag lernen bei mir die meisten Kinder, den Umgang mit einem Schälmesser, indem wir Möhren, Äpfel und Kartoffeln schälen - erst gemeinsam mit mir, später allein. Wenn das harte Obst und Gemüse erst geschält ist, wollen die Kinder es auch klein schneiden. Mit einem stumpfen Streichmesser ist dies nicht mehr möglich - also lernen sie auch den Umgang mit meinem scharfen Küchenmesser.

 

Es kam schon vor, dass ich abwartend am Herd stand, während drei Kinder zwischen drei und fünf Jahren die Kartoffeln für das Mittagessen schälten und schnitten - und sich weigerten, mir ein Messer abzugeben.

Schere...

Plastikscheren in passender Größe für kleine Hände, liegen bei mir immer zur freien Verfügung aus. Mit diesen Scheren lässt sich wirklich Papier schneiden - und auch nur dies; kein Stoff, keine Haare und auch keine Zunge. So ist es nicht tragisch, wenn die Schere bei den Einjährigen auch mal mit dem Mund erkundet wird. Auf diese Weise hat jedes Kind nach eigenem Interesse die Möglichkeit, den Umgang und die Handhabung der Schere zu üben - selbst wenn ich nicht genau daneben sitze.

Mit mir gemeinsam kommen die so genannte „Helferschere“, bei der ich mit anfassen kann, die spezielle „Sicherheitsschere“ oder auch gewöhnliche Bastelscheren zum Einsatz. Die Besonderheit der Helferschere liegt darin, dass ich die Hand des Kindes beim Schneiden führen kann - wobei ich üblicherweise lediglich beim Tempo des Öffnens und Schließens helfe. Der besondere Schliff der Sicherheitsschere verhindert Schnittverletzungen an Fingern und Händen, während sich mit ihr alle üblichen Bastelmaterialien schneiden lassen.

 


Bisher gab es bei allen Kinder eine Phase, in der sie mir ein Stück Papier in die Hand drückten und mit der Schere begeistert hinein schnitten, während ich es drehte. Dem folgt die Phase des „wilden Schnippelns“ bei welchem das Kind jegliches Papier und dünne Pappe schneidet - einfach um des Schneidens willen. Wenn möglich in Konfetti-Größe.

 

In diesen beiden Phasen befinden sich zur Zeit die beiden erwähnten Kinder meiner belgischen Freundin. Dagegen erlebe ich immer wieder, dass Kinder, denen bei mir der freie Zugang zu Scheren möglich war, noch vor ihrem dritten Geburtstag versuchen, „auf der Linie“ auszuschneiden. Am meisten überraschte mich in der Vorweihnachtszeit ein gerade Dreijähriger, der mit einem Cuttermesser akkurat einen Tannenbaum ausschnitt. Dieses Kind war den achtsamen Umgang mit scharfen Messern dank der Tätigkeiten in der Küche gewohnt.

Licht - und Feuer...

Bei mir kommen Kinder von Anfang mit offenem Feuer in Form von Kerzen in Kontakt. Die Jugend spielt absolut keine Rolle, denn das Teelicht im Glas gehört zu jedem Essen dazu - und in der Adventszeit auch zum Singkreis. Beim Entzünden der Flamme, beim Auspusten von Streichholz und Kerze, sowie während des Essens lernen Kinder bei mir von Beginn an den achtsamen Umgang mit offenem Feuer. Sie haben hunderte Male beobachtet, wie ich ein Streichholz festhalte, wenn ich es entzünde und wie ich anschließend die Kerze halte, ehe ein Kind mit etwa zweieinhalb Jahren mit mir gemeinsam ein Streichholz entzündet. Diese Handlung geht niemals von mir aus. Ich fordere kein Kind auf und frage auch keines, ob es eine Kerze anzünden möchte. Irgendwann in ihrem dritten Lebensjahr fragen die Kinder, die bei mir den täglichen Umgang mit Kerze und Streichholz gewohnt sind, von sich aus begeistert, ob sie die Kerze anzünden dürfen. Sie fordern es regelrecht ein.


Unfälle entstehen aus Unachtsamkeit

Natürlich gibt es auch Unfälle. Meistens geschehen diese durch Unachtsamkeit von mir und dem Kind. Gewöhnlich betrifft es bei mir Kinder, die den Umgang mit Schere, Messer und Feuer gewohnt sind und die entsprechende Tätigkeit schon viele Male mit mir und alleine vor meinen Augen ausgeführt haben. Dann kommt es schon mal vor, dass ich einen Moment nicht hinsehe oder abgelenkt bin. Und genau dann gerät ein Finger unter das Messer, das brennende Streichholz wird zu nah an die Lippe gehalten oder ein Kind möchte das eben ausgepustete Streichholz unbedingt auch mit der anderen Seite in die Flamme halten.

Trotz dieser Unachtsamkeit überwiegt die Achtsamkeit, denn es blieb bisher immer bei oberflächlichen Schnittwunden, Rötungen oder kleinen Brandblasen. Diese gehören zum Lernprozess und können einem unachtsamen Erwachsenen ebenso passieren. Diese Unfälle sind für mich ein Grund mehr, aufmerksamer zu sein, doch keiner, den Kindern diese Erfahrungsmöglichkeiten zu nehmen. Am Ende ist die Verletzung mit einem Pflaster und einem „Heile Segen“ schnell vergessen, während die erlernten Fertigkeiten im Umgang mit „Messer, Schere, Licht“ ein Leben lang bleiben.

 

Sonja

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